Überstunden als Motivationskriterium?
Veröffentlicht: 07.05.2019 | Update: 06.05.2023 | Lesedauer: 4 Minuten
Wer beruflich vorankommen will, muss sich anstrengen. Der muss überdurchschnittliche Leistungsbereitschaft an den Tag legen, der muss Motivation sowie Engagement unter Beweis stellen. Klar gehört dann auch dazu, nicht pünktlich zum Feierabend den Stift fallen zu lassen, oder? Überstunden sind für viele ganz normal und manche sehen darin sogar ein probates Mittel, um ihre Extraportion Motivation zu zeigen. Aber eignen sich Überstunden wirklich als Motivationskriterium und verleihen der Karriere einen Schub?
Warum werden Überstunden gemacht?
Arbeitszeit ist Arbeitszeit und wieviel man davon maximal abzuleisten hat, regelt das Gesetz. Und dann gibt es ja noch den Arbeitsvertrag, wo genau drin steht, was man mit dem Unternehmen so in puncto Arbeitszeit vereinbart hat. Viele Arbeitsverträge enthalten eine sogenannte »Überstunden-Klausel«, die Arbeitnehmer bei Bedarf verpflichtet, auch mal etwas länger zu bleiben. Der Bedarf jedenfalls scheint erheblich zu sein, denn jedes Jahr werden in Deutschland zig Millionen Überstunden gemacht, gut die Hälfte davon unbezahlt.
Das passt so gar nicht zu der vielzitierten These, dass Arbeitnehmern in der heutigen Zeit eine ausgwogene Work-Life-Balance ausgesprochen wichtig ist. Aber warum leisten Menschen derart viele Überstunden? Weil sie ihre Arbeit nicht schaffen? Weil das Unternehmen unter Druck steht? Weil Personalmangel herrscht? Gründe gibt es etliche und Hand auf’s Herz, wer sich hier richtig ins Zeug legt, bekommt doch auch Aufmerksamkeit und Anerkennung für seine Leistung und das wird sich schon irgendwann auszahlen. In dieser Hinsicht könnten Überstunden als Motivationskriterium schon durchgehen.
Der Haken an den Überstunden als Motivationskriterium
Nur wie sinnvoll ist es, ausgerechnet durch ständige Mehrarbeit deutlich machen zu wollen, wie engagiert und belastbar man ist? Dass betriebliche Belange und die berufliche Entwicklung eine führende Rolle spielen? Natürlich gehört zum Karrieremachen immer noch dazu, dass man Engagement zeigt. Und das wird unter anderem über die Arbeitszeit sichtbar, die man dem Unternehmen widmet. Aber kommt es nicht vielmehr darauf an, seine Arbeit gut zu machen und die vertraglich vereinbarten Anforderungen an die Stelle zu erfüllen? Hier können Überstunden als Motivationskriterium schnell mal nach hinten losgehen. Denn wer lange bleibt, aber trotzdem wenig schafft, hat außer Augenringen auch nichts gewonnen – vor allem nicht das Ansehen vom Chef. Und man sollte sich vor allem folgendes durch den Kopf gehen lassen:
• Jeder Chef freut sich über fleißige Mitarbeiter, die die Abteilung ohne Probleme am Laufen halten. Warum sollte er auf sie verzichten und sie wegbefördern?
• Welche Erwartungen schürt man eigentlich, wenn man ständig Überstunden schiebt? Dass man tatsächlich mehr leistet oder nicht eher, dass man jederzeit klaglos zur Verfügung steht?
• Nicht alle, die Überstunden als Motivationskriterium um der Karriere willen sehen, werden auch tatsächlich befördert, weil einfach nicht für jeden ein Beförderungsposten drin ist.
Selbst gesetzt den Fall, dass tatsächlich einmal eine Beförderung winkt: Das Thema Überstunden ist damit nicht vom Tisch. Im Gegenteil, je höher man die Karriereleiter hinaufklettert, desto höher werden die Anforderungen und die Erwartungen, die andere in einen setzen, Mehrarbeit inklusive.
Motivation zeigen – ohne Überstunden
Das Arbeitszeitgesetz gibt es nicht ohne Grund und tatsächlich ist eine gute Work-Life-Balance wichtig, um die Lebensqualität zu steigern und krankheitsbedingte Arbeitsausfälle, zum Beispiel durch Burnouts, zu vermeiden. Schon allein deswegen ist die Idee, Überstunden als Motivationskriterium für die eigene Karriere zu nutzen, überhaupt keine gute. Dass man seinen Job gern macht, sich für das Unternehmen engagiert und sich weiterentwickeln will, kann man auch anders ausdrücken, etwa indem man:
- die Arbeitsleistung wirklich am Anforderungsprofil ausrichtet,
- Interesse an neuen Aufgabenfeldern und an Themen zeigt, mit denen man sich noch nicht so gut auskennt,
- sich um eine gute interne Kommunikation mit Team und Vorgesetzten bemüht und
- bei zu hohem Arbeitsanfall um Unterstützung bittet.
Ist Mehrarbeit im Unternehmen gang und gäbe? Verhallt die Frage nach Unterstützung ungehört? In diesem Fall sollte man sich fragen, ob hier in der Tat Überstunden als Motivationskriterium und Zeichen für Engagement gewertet werden und im Sinne der eigenen beruflichen Entwicklung und Lebensplanung einen Jobwechsel in Betracht ziehen.
Gender-Hinweis
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwenden wir die geschlechtsspezifische Differenzierung nicht durchgehend, sondern meist das generische Maskulinum (z. B. „der Arbeitnehmer“). Sämtliche Personenbezeichnungen gelten jedoch gleichermaßen für jedes Geschlecht und sollen keinerlei Benachteiligung darstellen. Die verkürzte Sprachform hat ausschließlich redaktionelle Gründe und ist wertfrei.
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