Umsatz-Forecast im Vertrieb: System statt Glaskugel
Sind Sie es gewohnt, regelmäßig einen Umsatz-Forecast abzugeben und ist dieser Umsatz-Forecast für Sie voller verrückter Ideen? Dann lohnt es sich, diese Ideen einmal zu durchdenken und zu prüfen, was Sie Ihnen bringen! Es gibt Vertriebsorganisationen, in denen ist es an der Tagesordnung, Listen mit anstehenden Kundenaufträgen zu erstellen – mit Verkaufschancen, Auftragswert sowie einer Wahrscheinlichkeit in Prozent. Multipliziert man die Prozentzahl mit dem Auftragswert und summiert dies mit den um die Wahrscheinlichkeit bereinigten Auftragswerte, erhält man den erwarteten Auftragseingang für einen bestimmten Zeitabschnitt.
Ich habe mich schon oft gefragt, wie ein Verkäufer eigentlich zu dieser Prozentzahl kommt. Legt er in meditativer Trance die Hände flach auf den Konferenztisch und wartet auf eine Eingebung? Könnte es sein, dass er mit geschlossenen Augen dasitzt und hofft, die ersehnte Prozentzahl vor dem inneren Auge zu sehen? Oder bemüht er gar den Würfel, um eine Zahl zu ermitteln? Doch Spaß beiseite. Diese Vorgehensweise für möglichst sichere Annahmen der Wahrscheinlichkeit ist schlichtweg methodisch falsch.
Menschen sind schlechte Statistiker
Lassen Sie mich dies an einem Beispiel demonstrieren: Stellen Sie sich Paare bei der Eheschließung vor. Wie viele Ehen werden wohl zehn Jahre überdauern? Nimmt man der Einfachheit halber eine Wahrscheinlichkeit von 60 Prozent, kann man davon ausgehen, dass vier von zehn Ehen noch vor dem zehnten Hochzeitstag scheitern. Zum Zeitpunkt der Eheschließung aber würden alle Ehepaare, also 100 Prozent davon ausgehen, mindestens zehn Jahre verheiratet zu sein. Befragt man die Beteiligten in regelmäßigen Abständen und getrennt voneinander wieder, würden die Antworten sicher nicht mehr durchgängig bei 100 Prozent liegen.
Welche Antworten sind aber zu erwarten? Kann man automatisch davon ausgehen, dass sich nun Antworten mit geringen Prozentzahlen häufen? Ist das realistisch? Wohl kaum. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Antworten intuitiv ausfallen und eher so lauten: „Wir schaffen das zu 100 Prozent“ oder: „Ich denke nicht, dass es noch lange hält, wir stehen kurz vor der Trennung“. Es mag sein, dass sich die Summe der Antworten zwar den erwarteten 60 Prozent annähert. Dennoch werden die Aussagen eher im Sinne von „ganz oder gar nicht“ lauten. Menschen sind außergewöhnlich schlechte Statistiker.
System von Messwerten für den Umsatz-Forecast
Das liegt daran, dass wir dazu tendieren eine Situation mit einer anderen zu vergleichen und dann ein „Das-ist-bestimmt-so-oder-so-ähnlich-wie-damals“ Urteil zu fällen. Mit echter Wahrscheinlichkeit hat das aber nicht viel zu tun. Sondern mit der Euphorie oder dem Pessimismus des Einschätzenden. Was ist nun aber zu tun, um eine bessere Einschätzung der Auftragslage zu erreichen? Die Antwort ist klar: Wir brauchen ein statistisches Verfahren, das auf der Basis besserer Fakten eine belastbare Zukunftseinschätzung ermöglicht. In Bezug auf den Umsatz-Forecast gilt das Prinzip der Messung in Verbindung mit der empirischen Ermittlung der Wahrscheinlichkeit. Wenn Sie diese Erkenntnis anwenden, dann sollten Sie in Erwägung ziehen, grundsätzlich so vorzugehen: Schaffen Sie sich ein sinnvolles System an Messwerten, die die Verkaufs-Chancen eindeutig in Phasen einteilen. Beispielsweise:
- Erster Verdacht / Latenter Bedarf [= Phase 1]
- Konkreter Nutzen geklärt [= Phase 2]
- Entscheider bekennt Handlungsabsicht [= Phase 3]
- Konkrete Verhandlungen und annehmbares Angebot [= Phase 4]
- Mündliche Auftragserteilung [= Phase 5]
- Auftragsabschluss [= Phase 6]
Klare und eindeutige Kriterien für die Phasen
Legen Sie klare und eindeutige Kriterien fest, um die Projekte zweifelsfrei in die verschiedenen Phasen einzuordnen. Dabei ist es wichtig, dass es keine Grauzonen und keinen Interpretationsspielraum gibt. Im genannten Beispiel kann die Phase 2 also erst beginnen, wenn geklärt ist, welchen Nutzen der Kunde konkret erwartet. Und Phase 3 beginnt erst, wenn der Entscheider identifiziert wurde und Ihnen gegenüber erklärt hat, dass er beabsichtigt, kurzfristig zu investieren.
Ermitteln Sie, in welcher Phase wie viele Projekte endgültig verloren gehen. Daraus lässt sich eindeutig bestimmen, mit welcher Wahrscheinlichkeit umgekehrt die Projekte, die in einer bestimmter Phase stehen, später erfolgreich sein werden. Lassen Sie Ihre Verkäufer künftig nicht mehr Prozentzahlen schätzen, sondern nachprüfbare Merkmale finden, die die Phasen der Verkaufschancen zweifelsfrei festlegen. Wenn Sie dann – auch ohne die Verkäufer zu involvieren – die ermittelte Prozentzahl auf die Auftragswerte legen, erhalten Sie eine gewichtete Auftragswahrscheinlichkeit. Ganz ohne individuelle Bewertungen und ohne den Einfluss von Euphorie oder Pessimismus erzielen Sie so wesentlich bessere Ergebnisse.
Ihr Stephan Heinrich
Bild: bb_matt | flickr.com | CC by 2.0 | Ausschnitt