Wodurch werden Entscheidungen beeinflusst?

Es gibt Menschen, die mit dem Bauch denken können. Zumindest spricht man immer von Entscheidungen, die aus dem Bauch heraus erfolgen. Aber sind Bauchentscheidungen wirklich möglich? Vermutlich kennen Sie das Gefühl von „Schmetterlingen im Bauch“. Oder aber, dass einem „das Herz in die Hose rutscht“, wenn man sich erschreckt? Vielleicht können Sie sich auch an eine Situation erinnern, in der ihr Bauchgefühl eine Entscheidung ganz maßgeblich beeinflusst hat. Derzeit gibt es immer mehr Erkenntnisse darüber, wie unsere Denkweise funktioniert und wie wir Entscheidungen treffen.

Entscheidungen

Weltweit beschäftigen sich Forscher mit der Frage, wie unser Gehirn funktioniert. Nicht zuletzt die Industrie hat Interesse daran, noch besser zu verstehen, wie wir als Verbraucher noch besser beeinflusst und manipuliert werden können.

Aber können Forscher tatsächlich Methoden entwickeln, mit denen man uns manipulieren kann, ohne dass wir es merken? Existieren solche Wunderwaffen der Werbung und des Verkaufs? Das bezweifle ich. Jeder, der sich an solchen Standardwerkzeugen versucht, wird sehr schnell merken, dass die Waffe schnell abstumpft. Die Menschen sind einfach wach und erwachsen genug, um Manipulationen zu erkennen und zu entlarven.

Sind Entscheidungen immer rational?

Andererseits wird aber auch niemand von sich sagen können, gänzlich resistent gegenüber jeglichen Beeinflussungen zu sein. Falls doch, lassen Sie mich von einem Versuch berichten, der mich mehr als überrascht hat. Mein Kollege Karl Werner Schmitz hat als führender Haptik-Experte kürzlich ein Video zu diesem Thema beim Kongress des Club55 vorgestellt.

Stellen Sie sich vor, Sie werden zufällig auf der Strasse aufgesammelt, um an einem Experiment mitzuwirken. Ihre Aufgabe ist es, ein Bewerbungsgespräch als „Personalchef“ zu führen. Der Versuchsleiter holt Sie aus dem Warteraum ab und bringt Sie mit dem Lift in den 4. Stock. Dort wartet bereits der Bewerber in einem Besprechungszimmer. Der Versuchsleiter lässt Sie mit dem Bewerber alleine und Sie führen das Gespräch. Als Sie fertig sind, rufen Sie den Versuchsleiter und der Bewerber wird hinausgebracht. Dann bittet man Sie, sich zu entscheiden: Würden Sie den Mann einstellen oder nicht?

Was Sie nicht wissen: Der angebliche Bewerber ist ein Schauspieler, der mit hoher Kontinuität immer in gleicher Weise eine bestimmte Persönlichkeit spielt. Immer gleich. Er gibt einen guten, wenn auch nicht exzellenten Kandidaten ab. Das Urteil müsste also mit ein paar Abweichungen so bei 50% liegen.

Warm oder kalt?

Eine wichtige Ergänzung noch: Im Lift bittet Sie der Versuchsleiter, kurz sein Getränk zu halten. Oben im Raum nimmt er Ihnen das Getränk wieder ab. Es handelt sich um einen Pappbecher mit Deckel, so dass Sie nicht wissen, was sich darin befindet. Allerdings spüren Sie durch die dünne Pappe, dass es ein kaltes beziehungsweise ein heißes Getränk ist. Und jetzt wird es spannend.

Der Versuch ist nicht nur einmal durchgeführt worden, sondern viele Male. Die einzige Änderung war, dass die Probanden entweder ein kaltes Getränk oder ein warmes Getränk zum Halten bekamen. Der Rest war immer gleich: Der gleiche Bewerber, der gleiche Raum, die gleiche Sitzordnung – nur ein einziger Unterschied: Die Temperatur des Getränks.

Lediglich 40 Prozent derjenigen, die ein kaltes Getränk in der Hand hielten, entschieden sich für den Bewerber. In der anderen Gruppe, also der mit dem warmen Getränk, waren es 100 Prozent! Ja, sie haben richtig gelesen. Die Temperatur des Getränks, das der „Personalchef“ eine halbe Minute lang in der Hand hielt, hatte erheblichen Einfluss auf seine Entscheidung. Wenn wir so etwas hören, müssen wir uns da nicht ernsthaft fragen, ob vermeintlich rationale Entscheidungen nichts weiter sind als ein Scherz, eine Illusion?

Über Erkenntnisse, die nicht in unser Weltbild passen

Ein Witz, der die gleiche Relevanz hat wie die Zahnfee oder Knecht Ruprecht. Eine Reaktion wäre, einfach zu sagen, dass das nicht stimmt. Ähnlich wie damals in der Kindheit, wenn man darüber aufgeklärt wurde, dass das Christkind nicht existiert.

Eine Ablehnung im Sinne von: „Wenn das wahr wäre dann wäre ja vielleicht alles, was ich bisher wusste, falsch – das kann nicht sein!“ ist verständlich. Erkenntnisse, die nicht in unser Weltbild passen, lehnen wir zunächst erst einmal ab. Das ist normal und auch gut so, denn sonst würden wir jeden Unsinn glauben. Andererseits führte genau das zur Ablehnung der Tatsache, dass die Welt eine Kugel ist.

„Schnelles Denken, langsames Denken“

Wenn wir bereit sind, solche Erkenntnisse mit sicherer Hand von diffus esoterischem Gedankengut zu trennen, dann können wir uns professionell weiterentwickeln. Daniel Kahnemann, Träger des Wirtschafts-Nobelpreises hat sich viele Jahrzehnte als Psychologie mit Wahrnehmungen und Entscheidungen beschäftigt. In seinem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ bringt er eine der wichtigsten Erkenntnisse auf den Punkt: Unser heut weit verbreitetes Credo des Verstandesmenschen ist zumindest in Bezug auf unsere Entscheidungen und Einschätzungen schlichtweg falsch.

Kahnemann unterscheidet zwischen dem schnellen und langsamen Denken. Bei dem schnellen Denken handelt es sich um unsere Intuition, es bedient sich der größeren Kapazität unseres Gehirns. Das schnelle Denken signalisiert uns beispielsweise „hier war ich schon mal“, ohne dass wir dies rational begründen könnten. Es erkennt Muster in unserer Umwelt und verhilft uns zu guten Entscheidungen – zumindest oft.

Der Baseball-Test

Ein Beispiel für sein Versagen ist der Baseball-Test. Die Zuhörer bekommen eine simple Aufgabe, die sie möglichst spontan – also intuitiv – entscheiden sollen. Wenn Sie Lust haben und den Test noch nicht kennen, können Sie jetzt mitmachen. Dafür dürfen Sie sich bereit machen, so schnell wie möglich zu entscheiden. Hier die Aufgabe:

„Ein Baseball-Schläger und ein Ball kosten zusammen 1,10 Euro. Der Schläger kostet einen Euro mehr als der Ball. Was kostet der Ball?“ Na? Wie haben Sie entschieden? Wenn Sie jetzt spontan „10 Cent“ getippt haben, dann sind Sie in guter Gesellschaft. Die meisten Menschen reagieren so. Allerdings ist das falsch. Wenn der Ball 10 Cent kostet und der Schläger einen Euro mehr, dann kostete der Schläger 1,10 Euro und beides zusammen 1,20 Euro. Falsche Lösung. Mit ein wenig langsameren Denken wären Sie auf die Lösung „5 Cent“ gekommen, die richtig ist.

Das ist ein herber Schlag für alle, die sagen: „Vertraue auf Deinen Bauch“. Offenbar gilt das nicht immer.

Welche Rolle spielt die Zahl der Auswahlkriterien bei Entscheidungen?

Sehen wir uns ein anderes Experiment an, das der niederländische Forscher Ap Dijksterhuis durchführte. Einer Gruppe von Studenten wurde eine Auswahl von vier Gebrauchtwagen vorgelegt. Jeder Wagen war mit vier Eigenschaften angegeben. Die Aufgabe war, das objektiv Beste der vier Fahrzeuge zu finden. Also das Fahrzeug, das seinen Preis wert ist.  Diese Aufgabe bekamen die Probanden getrennt voneinander gestellt. Und zwar in verschiedenen Gruppen, die unmittelbar vorher unterschiedlich eingestimmt wurden: entweder rational und methodisch oder intuitiv.

Die eine Gruppe bekam viel Zeit, um rational zu entscheiden. Die andere Gruppe sollte möglichst spontan entscheiden. Das Ergebnis war wenig überraschend: Die Gruppe mit mehr Zeit und rationalen Kriterien fand mit höherer Sicherheit das objektiv beste Angebot heraus. Halten wir fest: In wenig komplexen Entscheidungen ist die rationale Entscheidungsfindung passend.

Umso beängstigender war das Ergebnis bei einer Wiederholung des gleichen Versuchsaufbaus mit vier Gebrauchtwagen, die jedoch diesmal mit jeweils zwölf Eigenschaften angegeben waren. Wohl gemerkt: Es waren die exakt gleichen Fahrzeuge, aber jetzt mit mehr Informationen. Die Versuchspersonen waren wieder Studenten, die entweder rational oder intuitiv an die Sache gehen sollten. Diesmal war das Ergebnis allerdings genau andersherum: Die rational entscheidenden Studenten schafften das „richtige“ Ergebnis nur mit einer 25-prozentigen Erfolgsquote, was dem puren Zufall entspricht. Die intuitiv entscheidende Gruppe fand jetzt hingegen mit über 60% den besten Wagen heraus.

Viele Kriterien erschweren die rationale Entscheidung

Das heißt also, dass wir Abschied nehmen müssen von der Idee, dass man mit einer Ausschreibung oder einem rationellen Auswahlverfahren eine gute Entscheidung treffen kann, wenn viele Entscheidungskriterien angegeben sind. In Wirklichkeit treffen wir bei unübersichtlich vielen Kriterien bessere Entscheidungen, wenn wir unsere Intuition die Auswahl machen lassen.

Lassen Sie uns daran arbeiten, diese Erkenntnis in die Büros der Entscheider zu tragen. Sicher nicht mit erhobenem Zeigefinger. Aber warum sollte man dem Entscheider nicht im Dialog seine wirklich relevanten Kriterien entlocken, statt sich willkürlichen Auswahlprozessen hinzugeben? Wir dürfen den Entscheider ermutigen, eine sinnvolle Entscheidung zu treffen, statt diese an einen Algorithmus zu übertragen und falsch verstandenem Sicherheitsdenken Raum zu lassen.

Diese Erkenntnisse gelten auch für uns Verkäufer, denn Experimente machen deutlich, dass wir vor allem unter Verlustangst keine guten Entscheidungen treffen. Viele betriebswirtschaftlich oft sehr fraglichen Versicherungen werden tagtäglich an Menschen verkauft, die offenbar nicht rechnen können. Es ist allerdings zu kurz gegriffen, dies mit der vermeintlichen Rechenschwäche Einzelner abzutun.

Schlechte Entscheidungen unter Verlustangst

In einem größeren Experiment wurden erfahrene Ärzte vor diese Wahl gestellt: Unser Land bereitet sich auf eine Seuche vor. Es werden 600 Todesopfer erwartet. Es gibt zwei alternative Programme zur Seuchenabwehr. Sie müssen zwischen den beiden Programmen entscheiden, die nach allen Erkenntnissen der Medizin folgende Auswirkungen haben werden:

A) Es werden 200 Menschen gerettet.

B) Es gibt eine 1/3 Chance, dass 600 gerettet werden. Aber eine 2/3 Chance, dass keiner gerettet wird.

Bei dieser Art der Fragestellung entschieden sich 72% der Ärzte für A. Der Rest für die rechnerisch gleichwertige Glücksspielvariante. Das ist sicher nicht weiter verwunderlich. Warum sollte man „zocken“, wenn man mit einer guten Entscheidung ein vernünftiges Ergebnis erzielen kann? Interessant ist, dass bei umgekehrter Fragestellung trotz gleicher Fakten ganz anders entschieden wird:

A) Es werden  400 Menschen sterben.

B) Es gibt eine 1/3 Chance, dass 600 gerettet werden. Aber eine 2/3 Chance, dass keiner gerettet wird.

Jetzt entschieden sich nur noch 22% für A. Obwohl alle Entscheidungskriterien faktisch gleich sind und hier bestens ausgebildete Spezialisten befragt wurden. Obwohl ausgewiesene Profis am Werk sind. Allerdings ist es so, dass im zweiten Fall durch den Versuchsaufbau bewusst die Verlustangst angesprochen wird.

Dieser Effekt ist in zweifacher Hinsicht für uns Verkäufer relevant. Einerseits können wir diese Erkenntnis nutzen, um unsere Aussagen so zu gestalten, dass die Entscheidung attraktiver wird. Etwa statt „Sie können xxx Euro Umsatzzuwachs erwarten“ eher „Was sollte Sie dazu bringen, auf xxx Euro Umsatzzuwachs zu verzichten?“

Zum Anderen – und das ist noch schwerwiegender – müssen wir unsere eigenen Entscheidungen unter diesem Gesichtspunkt immer wieder kritisch bewerten. Welche Verkaufs-Chancen wollen wir einfach nicht aufgeben, nur weil wir bislang schon viel Zeit investiert haben? Auch wenn bei nüchterner Betrachtung völlig klar ist, dass es sinnlos ist?

Zeit für ein Fazit:

1. Wir haben ein schnelles, intuitives Denken und ein langsames rationales Denken. Beide können uns fehlleiten. Wir müssen in den passenden Situationen das „richtige“ Denken auspacken.

2. Menschen sind gut darin, komplexe Situationen intuitiv zu bewerten. Rationalität bei hoher Komplexität führt wahrscheinlich zu schlechten Entscheidungen.

3. Unter Verlustangst treffen wir schlechte Entscheidungen. Wir sollten daher solche Entscheidungen an Unbetroffene, evtl. sogar an Automatismen abgeben.

Ihr Stephan Heinrich

Siehe auch: Alternativangebote im Verkaufsgespräch?

Bild: Tim Rizzo | flickr.com | CC by 2.0 | Ausschnitt

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